Covid-19 und „Höhere Gewalt-Klauseln“ in Lieferverträgen

Durch die aktuellen Beschränkungen des Wirtschaftsverkehrs aufgrund der Covid-19-Pandemie kommt es in vielen Branchen zu Kurzarbeit, Betriebseinschränkungen und Lieferengpässen. In Folge ist es für Wirtschaftsteilnehmer zuweilen nicht möglich, eingegangene Lieferverpflichtungen einzuhalten. Inwieweit der Wirtschaftsteilnehmer sich gegenüber seinem Vertragspartner auf höhere Gewalt berufen kann und somit seine Leistungspflicht vorübergehend ausgesetzt ist, hängt von der konkreten Vertragsgestaltung ab.

Viele Projekt- oder Rahmenlieferverträge im unternehmerischen Geschäftsverkehr enthalten so genannte „Höhere Gewalt-Klauseln“. Diese nennen üblicherweise bestimmte Fallkonstellationen, die nach dem Willen der Vertragsparteien unter den Begriff der Höheren Gewalt fallen sollen und damit nicht der Risikosphäre einer Vertragspartei zuzuordnen sind. Bereits vor Beginn der Covid-19-Pandemie abgeschlossene Verträge sind daher durch Auslegung auf die aktuelle Situation hin zu prüfen. So könnten z.B. Pandemien ausdrücklich erwähnt sein, in anderen Fällen sind die benannten Beispiele daraufhin zu betrachten, ob sie auch die aktuellen Wirtschaftsbeschränkungen durch nationale Verordnungen erfassen.

Die Rechtsprechung definiert höhere Gewalt als „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist.“ (BGH, Urteil vom 16.10.2007, VI ZR 173/06)

Die vom Bundesgerichtshof erarbeiteten Grundsätze, dass das Ereignis unvorhersehbar, unvermeidbar und außergewöhnlich sein muss, dürften für die Covid-19-Pandemie grundsätzlich erfüllt sein, soweit die Verträge vor deren Ausbruch und Berichterstattung geschlossen wurden und die wirtschaftlichen Einschränkungen den konkreten Betrieb betreffen. Wenn diese allerdings lediglich bei einem Zulieferer bestehen, ist differenziert zu betrachten, in welchem Verhältnis dieser zum eigentlichen Wirtschaftsteilnehmer steht und ob ggf. eine zumutbare Vorratshaltung die Voraussetzung der Unvermeidbarkeit verneinen lässt. Grundsätzlich trägt derjenige, der sich auf Covid-19 als Hinderungsgrund berufen will, die Beweislast hierfür.

Schwieriger wird die Situation bei aktuell abzuschließenden Verträgen, bei denen bereits bei Vertragsschluss die Covid-19-Pandemie bekannt ist. Nunmehr ist eine Unvorhersehbarkeit nicht mehr gegeben, so dass für zukünftige – heute absehbare – Einschränkungen von Betriebsabläufen nicht von einer höheren Gewalt ausgegangen werden kann. Umso wichtiger ist es aus Sicht des Lieferverpflichteten, diesen Aspekt in der Vertragsgestaltung ausdrücklich mit dem Vertragspartner zu besprechen und festzuhalten. Denkbar ist es zum einen, das Risiko eines Lieferengpasses oder Lieferausfalls einer Partei zuzuordnen, andersherum aber auch, für den Zeitraum der Einschränkungen Vertragspflichten auszusetzen oder bei einer bestimmten Dauer des Hindernisses ein Kündigungsrecht einzuräumen. Der Lieferempfänger wird diesbezüglich eher versuchen eine solche Einschränkung durch Covid-19 nicht zu akzeptieren.

Wir beraten Sie gern und erörtern mit Ihnen, welche Regelungen im Einzelfall für den jeweiligen Vertrag für Sie sinnvoll sind und Sie im Geschäftsverkehr in der aktuellen Situation absichern.